PROF. DR. MANFRED BRUHN lehrt Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der European Business School (Schloß Reichartshausen/ Rheingau).
THESE 1: Unternehmensleitung
und Marketingmanagement unterschätzen häufig die Relevanz von Beschwerdeinformationen zur Verbesserung von Marketingentscheidungen.
Beschwerdeinformationen werden von den meisten deutschen Unternehmen nur sporadisch gesammelt und kaum ausgewertet. Das Marketingmanagement ist überzeugt, aus seinen umfangreichen repräsentativen Befragungen bereits ausreichend über die Konsumentenprobleme informiert zu sein. Ebenso gilt eine geringe Beschwerderate als Indikator dafür, daß die Kunden insgesamt mit dem Produkt- und Serviceprogramm zufrieden sind. Die Notwendigkeit eines direkten Dialogs mit den Kunden wird kaum gesehen. Dagegen haben nicht zuletzt Peters und Waterman in ihrem Buch „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“ auf die „Kundenorientierung als Erfolgsfaktor“ hingewiesen: „Spitzenunternehmen sind ihren Kunden wirklich nah“. Sie nennen Firmen, die - wie Lanier - allen Reklamationen innerhalb von vier Stunden nachgehen und bei denen sich der Chef vielfach persönlich um die Beschwerden kümmert, oder die - wie erstmals Procter & Gamble - auf allen Verpackungen eine gebührenfreie Telephonnummer aufdrucken lassen, um den direkten Dialog mit den Kunden zu fördern. Nach Auskunft von Procter & Gamble gehen jährlich etwa 200 000 Anrufe mit Beschwerden und Anregungen ein, die als Impulse für Produktverbesserungen dienen (siehe Peters/Waterman 1983). Der Informationswert von Beschwerden richtet sich nicht nur nach den objektiven Mängeln von Produkt- und Serviceleistungen. Vielmehr sind aus Unternehmenssicht zusätzliche Informationen von Bedeutung: Wer (Beschwerdeführer) beschwert sich aus welchen Gründen (Kundenprobleme), mit welchen Mitteln (Beschwerdemaßnahmen), in welcher Form (persönlich, schriftlich), wo (Beschwerdeort), wie oft (Beschwerdehäufigkeit), wie lange (Dauer des Beschwerdeprozesses), unter welchen Bedingungen (Beschwerdesituation), worüber (Produkte, Dienstleistungen) und mit welchem Erfolg (Beschwerdeergebnis)? Und wer wird sich aus welchen Gründen nicht beschweren („unvoiced complaints“)?