Beschwerden über die E-Mail-Lawine gibt es zuhauf. Vielleicht haben Sie einige der folgenden Sätze schon gehört oder sich selbst so ähnlich geäußert: "Ich bekomme Hunderte von E-Mails am Tag", "Ich könnte meinen ganzen Arbeitstag dazu verwenden, auf E-Mails zu antworten", "Ich finde ich meinem Posteingang nichts mehr."
Um ihre Mitarbeiter zu entlasten und die Zahl der E-Mails zu reduzieren reagieren viele Unternehmen mit klaren Regeln: Beispielsweise hat der CEO des französischen IT-Dienstleistungsunternehmens Atos angewiesen, ab 2013 interne Mails abzuschaffen. Der Autobauer Volkswagen will, dass bestimmte Mitarbeiter keine E-Mails mehr nach Feierabend erhalten. Wenn solche Firmen zu drastischen Mitteln greifen, ist es dann nicht an der Zeit, etwas Ähnliches zu tun, um Ihre eigene Mail-Überlastung zu reduzieren?
Experten für Produktivität sprechen sich jedoch gegen solche radikalen Maßnahmen aus. E-Mail ist ganz gewiss eine Bedrohung der Effizienz, sagt David Allen, Berater und Autor der Bücher "Getting Things Done" und "Making It All Work". Dennoch ist er der Meinung, dass die E-Mail ein notwendiges Arbeitswerkzeug sei. "Ich benutze E-Mails seit 1983. Ohne sie könnte ich nicht das Leben leben, das ich habe", sagt Allen. Bob Pozen, Dozent für Betriebswirtschaftlehre an der Harvard Business School und Autor des Buches "Extreme Productivity" stimmt zu. Sie könnten versuchen, weniger E-Mails zu nutzen. Aber Aussicht auf Erfolg habe das kaum: Es sei heute im Arbeitsleben kaum noch möglich, Menschen telefonisch zu erreichen oder persönlich zu treffen. Pozen und Allen sind sich einig: Regeln wie die von Atos oder Volkswagen sind nicht notwendig. Sie können die Kontrolle über Ihre E-Mails zurückgewinnen und deren heimtückischen Effekte auf Ihre Produktivität reduzieren. Dazu müssen Sie nur ein paar einfache Regeln beachten.
Anschluss finden
Laut Allen ist die E-Mail-Flut nur ein Symptom eines größeren Problems: der Mangel an klaren und effektiven Gewohnheiten. Wenn Ihr Unternehmen keine eindeutigen Prozesse der Entscheidungsfindung hat und Mitarbeiter nicht das von ihren Kollegen bekommen, was sie brauchen, dann werden sie das System mit Mails und Einladungen zu Meetings fluten. Dann verstricken sich die Leute in ihren Arbeitsrückständen, was wiederum zu noch mehr Mails und Meeting-Anfragen von frustrierten Mitarbeitern führt, die versuchen, den Anschluss wiederzufinden.
Die Gegenmaßnahmen
Allen hatte einen Klienten, der im Schnitt einen Berg von 3000 bis 4000 Mails vor sich herschob. Als er schließlich seinen Posteingang aufgeräumt hatte und es ihm gelang, mit seinem Posteingang à jour zu bleiben, verringerten sich sowohl die Zahl der neu hereinkommenden Nachrichten als auch das Aufkommen der Meetings. Seine Kollegen bekamen die nötigen Hinweise und den Input, den sie brauchten. Deshalb mussten sie ihn nicht mehr wegen Kleinigkeiten mit Mails bombardieren. "Gut organisierte E-Mails reduzieren die Zahl der Meetings. Und gut organisierte Meetings verringern die Zahl von E-Mails", sagt Allen. Nehmen Sie sich Zeit, um jetzt zu antworten - das spart Ihnen das Doppelte an Zeit in der Zukunft.Arbeitsabläufe im Griff haben
Ein andere Gegenmaßnahme besteht darin, den Strom neuer Nachrichten abzuschalten. Melden Sie Newsletter ab oder stoppen Sie die Benachrichtigungen von Facebook und Twitter. Sie sollten aber auch überlegen, ob Ihre Kollegen oder Ihre direkten Vorgesetzen Sie bei zu vielen E-Mails "CC" setzen. Erklären Sie: Updates nur zu bestimmten Zeiten oder wenn eine finale Entscheidung gefallen ist.
Pozen weist darauf hin, dass Sie selbst einen Einfluss darauf haben, wie viele E-Mails Sie bekommen: Senden Sie selbst weniger Mails und schränken Sie den Kreis der Empfänger ein. Widerstehen Sie der Versuchung, Nachrichten nur mit einem Wort zu schicken wie "Danke!". Benutzen Sie den "Allen antworten"-Button nicht - es sei denn, es müssen wirklich alle wissen, was Sie zu sagen haben. Verlassen Sie sich nicht auf E-Mails, um große Entscheidungen zu treffen oder komplexe Probleme zu lösen, wie zum Beispiel Grundsatzänderungen in der Unternehmenspolitik - das führt nur zu einem endlosen Hin und Her. Lernen Sie zu unterscheiden, welche Dinge Sie besser persönlich klären oder per E-Mail. Indem Sie selbst ein gutes E-Mail-Management anwenden, werden Sie andere ermutigen, nur E-Mails zu schicken, wenn es nötig und angebracht ist.
Posteingang aufräumen
Auch wenn Sie die genannten Hinweise beherzigen, kann Ihr Posteingang randvoll sein. Sie haben wahrscheinlich schon einiges über die Hinweise zum Management von E-Mails gelesen, aber etwas davon wiederholt sich. Beginnen Sie damit, Ihren Posteingang aufzuräumen. Wenn Sie Tausende von E-Mails haben, erstellen Sie einen neuen Ordner mit der Bezeichnung "Alter Posteingang" - alle Nachrichten kommen da hinein. Sie haben immer noch Zugang, wenn Sie die E-Mails brauchen. Aber es wird Ihnen ohne den Ballast leichter fallen, neu ankommende Nachrichten zu bearbeiten.
Sobald Sie keine (oder fast keine) E-Mails mehr in Ihrem Posteingang haben, gewöhnen Sie sich an, neue Nachrichten sofort zu sortieren. Gehen Sie dazu die folgenden drei Schritte:
1. Löschen. Schauen Sie durch Ihren Posteingang und löschen Sie alle Nachrichten, die Sie nicht lesen oder behalten müssen: Termin-Einladungen, Werbung und so weiter. "Sie sollten in der Lage sein, 80 Prozent solcher Mails nur anhand des Titels auszusortieren", rät Pozen.
2. Antworten. Wenn Sie eine Mail innerhalb von ein paar Minuten beantworten können, machen Sie das. "Wenn Sie es liegen lassen, verlieren Sie beim nächsten Mal Zeit, wenn Sie die betreffende Mail suchen oder wenn Sie überlegen, was Sie eigentlich schreiben wollten", erklärt Pozen.
3. Ablegen. Was den Rest angeht: Überlegen Sie, wo Sie diese Mails ablegen wollen. Speichern Sie sie in Unterordnern, kennzeichnen Sie die Nachrichten um festzuhalten, welche Priorität sie haben und wann Sie die Mail beantworten müssen.
Legen Sie einige wenige Zeiten pro Tag fest, zu denen Sie Ihren Posteingang checken. Wenn Sie das alle fünf Minuten tun, werden Sie nichts anderes an diesem Tag schaffen. Aber versuchen Sie nicht den kalten Entzug. Ihre E-Mails nur einmal oder zweimal am Tag zu checken, ist nicht praktikabel. "Die meisten Leute, die eine Mail senden, erwarten eine schnelle Antwort", sagt Pozen.
Vorsicht vor starren Regeln
Allen und Pozen sind sich einig: Drastische Unternehmensregeln, die vielen Mitarbeitern vorschreiben, wann sie ihre E-Mails zu bearbeiten haben, sind unrealistisch und wenig effektiv. "Warum sollten Sie Ihre Mitarbeiter mit blöden Regeln lähmen?" fragt Allen. Hinzu kommt, dass Vorschriften dieser Art selten hängen bleiben. "Es ist sehr schwer, starre Regeln zu finden, die praktikabel für alle sind", sagt Pozen.Das heißt aber nicht, dass alle Regeln unbrauchbar sind. Sie können Richtlinien für sich selbst und für Ihre Mitarbeiter entwerfen. Ermutigen Sie andere, die Zahl der E-Mails zu reduzieren, und nur solche beachten, die eine unmittelbare Handlung erfordern. Diskutieren Sie offen, wie Sie in Ihrem Unternehmen über spezielle Themen kommunizieren wollen. "Versuchen Sie einen Konsens in der Gruppe zu erreichen, was sich zu senden und zu empfangen lohnt", sagt Pozen.
Legen Sie ab und zu eine Pause ein
Da E-Mails allgegenwärtig in unserem Leben sind, kann es angenehm sein, ab und zu komplett offline zu gehen. Manche Leute tun dies immer dann, wenn sie im Urlaub sind. Andere entscheiden sich für ein bewusstes E-Mail-Sabbatical. "Es ist immer eine gute Idee, sich ab und zu von allen digitalen Aktivitäten fernzuhalten - alleine schon, um sich zu vergewissern, nicht hoffnungslos abhängig zu sein und etwas frische Luft zu bekommen", sagt Allen. Natürlich ist die Strategie nicht für jeden zielführend: "Wenn Sie ständig darüber nachdenken, was Sie gerade jetzt verpassen könnten, tun Sie gut daran diese Zeit zu nutzen und das Problem sofort zu lösen.
Die HBM-Redaktion hat Ihnen ein paar Artikel zum Thema "Produktiver Arbeiten" zusammengestellt.
Fallstudie 1
Vier Schritte zur EntlastungAna Dutra, CEO bei dem Personalberatungsunternehmen Korn/Ferry International, ist bekannt dafür, auf jede E-Mail innerhalb von 24 Stunden zu reagieren. Ganz gleich, von wem sie kommt. Aber sie hat nicht das Gefühl, zu viel Zeit auf die Mails zu verwenden. "Ich habe ein System, das für mich funktioniert", sagt sie. Es ist ein Prozess, den sie entwickeln musste, als sie die globale Unternehmenseinheit Strategie bei der Unternehmensberatung Accenture leitete. In dieser Zeit bekam sie täglich 250 bis 300 E-Mails. Heute in ihrem neuen Job ist diese Zahl niedriger (ungefähr 120 pro Tag), aber sie achtet trotzdem weiter darauf, keine E-Mails anzusammeln und ihren Posteingang sauber zu halten. "Je mehr Nachrichten auflaufen, desto schwerer wird es, den Anschluss wiederzufinden und zu entscheiden, was wichtig und was unwichtig ist", sagt Dutra.
Dutra geht jedes Mal in vier Schritten vor, wenn sie ihren Blackberry oder ihren Posteingang öffnet. Zuerst löscht sie alles, was unwichtig ist: Einladungen, Spam und so weiter. Dann sortiert sie die Nachrichten nach Themen: Bei allen Schriftwechseln hat sie nur die jeweils letzte Nachricht vor Augen. Sie schaut sich die vorherigen nicht an, es sei denn, es ist notwendig. "Das Problem könnte bereits gelöst sein", erklärt Dutra. Dann schaut sie sich die Mails an, von denen sie eine Kopie erhalten hat, um herauszufinden, ob etwas Dringendes erledigt werden muss oder ob sie nur auf dem Laufenden gehalten wird. Im letzten Schritt antwortet sie auf Nachrichten, die sofort bearbeitet werden können, und speichert den Rest in Unterordner ab.
Für sie ist es eine Sache des Respekt, sofort zu antworten. "Es dauert 20 bis 30 Sekunden, eine kurze Mail zu schreiben und zu erklären, wann sie sich um etwas kümmern können", sagt Dutra. "So viel wird über E-Mail geregelt und so viele Entscheidungen werden so getroffen - es wäre unverantwortlich, nicht zu antworten." Sie coacht auch ihre Kollegen: "Wenn Sie wollen, dass ich Ihre E-Mails lese, fassen Sie sich kurz", sagt Dutra. Sie ermutigt ihre Kollegen, die Nachrichten zu kennzeichen: Entweder mit "Aktivität nötig" oder "Zur Information".
Immer, wenn Dutra etwas Leerlauf hat - im Auto, beim Warten auf ein Meeting - nutzt sie die Zeit, um ihren Posteingang aufzuräumen. Sie hält die Zeit, die sie für das Management ihrer E-Mails verwendet, nicht für eine Belastung. Tatsächlich trifft das Gegenteil zu: "Es fühlt sich überhaupt nicht wie eine Bürde an, es ist toll", sagt Dutra.
Fallstudie 2
Die Methode Anti-CCFrank Sopper ist Vorsitzender des Vorstands bei "OpenBook Learning", einem Unternehmen, das US-Schulen mit Lernsoftware versorgt und Manager hilft, effizienter zu arbeiten. Er will keine Kopien von E-Mails erhalten. "Ich haue niemanden auf die Finger, der mir eine Kopie schickt", sagt er. "Aber ich würde fragen: Warum schicken Sie mir das? Sopper begann die E-Mails genauer unter die Lupe zu nehmen, als er vor einigen Jahren in einer anderen Position arbeitete. Er fragte sich selbst: Muss ich wegen dieser E-Mail irgendetwas unternehmen? Wenn nicht: Warum bekomme ich diese Nachricht überhaupt?
Bei "OpenBook" hat er seine Mitarbeiter dazu gebracht, genau darüber nachzudenken, ob sie eine Mail verschicken und wer sie erhalten soll. "Wir haben in unserem Unternehmen sehr hart daran gearbeitet, dass niemand eine E-Mail in Kopie erhält, wenn er nichts unternehmen muss", sagt Sopper. Das Ziel besteht nicht darin, Kommunikation zu erschweren, sondern ihre Relevanz zu sichern. "Jeder kann mit mir kommunzieren. Sie schicken mir einfach eine Nachricht mit mir als direkten Adressaten", sagt Sopper.
Die Manager bei "OpenBook" fühlen sich durch diese Regel nicht gegängelt. Tatsächlich scheinen die Leute erleichtert zu sein, weil sie spüren, dass ihnen zugetraut wird, ihre Arbeit zu erledigen. Und Sopper verlässt sich auf andere Instrumente, um die Leistung zu überprüfen. "Wir haben genug Kennzahlen, um die Leistung der Mitarbeiter zu bewerten, ohne ihre E-Mail-Kommunikation zu lesen."
Hat dieser "Anti-CC"-Ansatz die Zahl seiner E-Mails signifikant verringert? "Ich weiß nicht, wie viele E-Mails ich bekomme", räumt Sopper ein. "Ich werde die Nachrichten los und speichere sie in Unterordnern, sie stapeln sich nicht in meinem Posteingang. Aber ich weiß: Es sind weitaus weniger Nachrichten als meine Kollegen von ähnlich großen Organisationen erhalten.
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