Seit Thomas J. Peters und Robert H. Waterman ihren Bestseller "In Search of Excellence" 1982 veröffentlicht haben, diskutieren Manager und Wissenschaftler über die Bedeutung der Unternehmenskultur. Eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen legt nahe, dass die Kultur einer Organisation erheblich beeinflusst, wie sehr sich die Mitarbeiter mit ihrer Firma identifizieren, wie stark sie sich engagieren und wie Leistungsfähigkeit das Unternehmen insgesamt ist (Wichtige Erkenntnisse habe ich hier in einem Beitrag zusammengefasst). Demnach sollte jeder Topmanager sehr daran interessiert sein, die eigene Kultur zu kennen, zu verstehen und regelmäßig zu überprüfen. Denn so kann er die Kultur pflegen und gegebenenfalls weiterentwickeln.
Kulturassessment: Eine effiziente Unternehmenskultur ist essentiell für eine Firma
Enttäuschte Studenten
Manager anderer Firmen scheinen zwar neugierig zu sein, doch gleichzeitig vor einem Kulturassessment beziehungsweise vor dessen Ergebnis zurückzuschrecken. Diese Erfahrung machte eine Studentengruppe, die im Rahmen eines Seminars die Kultur einer gewinnorientierten oder einer gemeinnützigen Organisation analysieren sollte. Sie musste erleben, dass die Verantwortlichen in einem Unternehmen eine anfängliche Zusage nach der Durchsicht der Leitfragen für die geplanten Interviews wieder zurücknahmen. So genau und eingehend wollten sie die Firma dann doch nicht untersucht sehen! Obwohl die Analyse nichts gekostet hätte, machte die Geschäftsleitung einen Rückzieher. Vielleicht wollten die Manager, so ließe sich einwenden, solche internen Informationen nicht Externen und vielleicht auch nicht gerade Studenten in einem Masterstudiengang preisgeben.
Dem gegenüber stehen die Erlebnisse einer weiteren Studentengruppe. Diese bekam zwar die Zusage von der Führungskraft eines internationalen Konzerns, die Kultur am Hauptsitz zu analysieren. Interessanterweise führte die mündliche und schriftliche Befragung der Studenten intern zu großer Unruhe. Zwar waren das Vorstandsmitglied und die Mitarbeiter, die mündlich befragt wurden, sehr offen, auskunftsbereit und äußerten großes Interesse an den Ergebnissen. Doch der Betriebsrat war eher aufgebracht und hätte die Analyse am liebsten untersagt. Obwohl die Ergebnisse ein recht positives Licht auf die untersuchten Bereiche des Unternehmens warfen, durften die Studenten sie nur einem kleinen Kreis ohne schriftliche Dokumentation präsentieren.
Ähnliche widersprüchliche Erfahrungen habe ich auch in meiner eigenen Forschungs- und Beratungspraxis gemacht. Zwar sind viele Manager neugierig, mehr über die eigene Unternehmenskultur zu erfahren, doch scheuen sich viele auch davor, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen, in dem die konkreten Stärken, aber eben auch Schwächen klar erkennbar sind und als solche benannt werden. Wovor haben also die gestandenen Führungskräfte Angst? Wollen sie vermeiden, Fehler aufzudecken? Wollen sie falsche Entscheidungen kaschieren? Wollen sie altbewährte Routinen schützen, die aufgrund der Vertrautheit mit ihnen Sicherheit geben? Oder fürchten sie sich einfach, auch kritische Dinge aufzudecken, die sie dann entsprechend angehen müssten?
Unerwünschte Klarheit
Ein ähnliches Verhalten haben Wissenschaftler auch beim Coachings und in der Psychotherapie beobachtet. Auch hier sind Klienten zwar an Selbsterkenntnis interessiert, doch nicht immer in aller Klarheit. Diese würde nämlich neben Positivem mit großer Wahrscheinlichkeit auch Negatives hervorbringen. Der Betroffene müsste Stellung beziehen und sich zudem entscheiden, ob er sich ändern und einen neuen Weg einschlagen will... und das kostet Energie und Willenskraft.
Dabei können Betroffene - seien es Einzelpersonen, Teams oder Unternehmen - sich nur weiterentwickeln, wenn sie konkrete Maßnahmen auf der Basis einer kritischen Analyse auswählen und umsetzen. Dies legt auch eine Reihe von Forschungsergebnissen nahe. So ist eine zentrale Erkenntnis der Studien des US-Managementexperten und Bestseller-Autors Jim Collins, dass die schonungslose Konfrontation mit der Realität für eine weitere positive Entwicklung eines Unternehmens essenziell ist. Auch die Studien zum Entscheidungsverhalten von dem Nobelpreisträger Daniel Kahnemann und seinem Kollegen Amos Tversky zeigen, dass nur der bewusste, kritische und selbstkritische Umgang mit sich selbst, der Organisation und den an einer Entscheidung beteiligten Menschen und Informationen enorm wichtig sind. Denn sonst droht die Gefahr, Opfer einer verzehrten Wahrnehmung zu werden. Ebenso zeigen die Ergebnisse meiner Studien im Bereich Leadership und Unternehmenskultur, dass erfolgreiche und flexible Manager, ihre Unternehmen und dessen Kultur regelmäßig kritisch analysieren, damit sie frühzeitig ungewollten Entwicklungen entgegensteuern können. Doch das scheint noch längst nicht die Regel zu sein. Offensichtlich ist in einigen Unternehmen die Angst vor der Erkenntnis größer als der Wille zum Erfolg.
Was sind Ihre Erfahrungen? Wie ist die Kultur ihres Unternehmens?